Psychotherapie und evidenzbasierte Medizin – nach der Rolle vorwärts jetzt die Rolle rückwärts?

Donnerstag, 26. April 2018, 19:30 - 21:00 Uhr

 

 

Professor em. Dr. Mathias Berger, Universitätsklinikum Freiburg i.B.


Bis vor wenigen Jahren galt, dass Psychotherapie auf einer überzeugenden Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens basieren müsse. In der evidenzbasierten Medizin rechtfertigt jedoch eine plausibel erscheinende Theorie nicht die Anwendung einer Therapie. Nur in randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesene positive Effekte rechtfertigen ihre Anwendung. Dies führte zu einem rapiden Bedeutungsverlust vieler Psychotherapieschulen und zu einem eindrucksvollen Aufschwung evidenzbasierter, störungsspezifischer Psychotherapien wie IPT, CBASP, DBT..

Der hohe mit RCT’s verbundene wissenschaftliche Arbeitsaufwand, aber auch die Anforderungen evidenzbasierter Psychotherapien, die in S3-Leitlinien gefordert werden, führte zu einer Gegenbewegung. Unter dem Schlagwort „individualisierte Medizin“ werden neuerdings transdiagnostische, idiographisch ausgerichtete Therapieformen propagiert. Die neuen „Allrounder“ wie Schematherapie, EMDR oder ACT haben in der Regel keine Evidenzen für eine transdiagnostische Anwendung und führten damit zu einer Renaissance alter nicht oder kaum evidenzbasierter Psychotherapieschulen.

Stehen wir vor einem Rückfall in die vorwissenschaftlichen Zeiten der Psychotherapieschulen oder gibt es Hoffnung auf einen Verbleib der Psychotherapie in der empirisch begründeten Medizin?