Inhaltliche Ausrichtung
Das Forschungsprojekt zur Psychobiologie menschlichen Jagd- und Tötungsverhaltens setzt sich mit der menschlichen Lust an der Grausamkeit im Rahmen einer appetitiven Verarbeitung von Gewaltreizen auseinander. Das Ziel besteht einerseits darin, die Phänomenologie menschlicher Grausamkeit in Kriegs- und Krisengebieten mit empirischen wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, sowie andererseits den Ausdruck von Faszination an Gewalt im zivilen Kontext zu erfassen. Wir verfolgen dabei einen multidimensionalen Ansatz, um das Phänomen der „appetitiven Aggression“ möglichst umfassend verstehen zu können.
Wir definieren appetitive Aggression als das Ausüben von Gewalt oder das Zufügen von Leid mit dem Ziel, Vergnügen zu verspüren, welches durch die Gewaltreize ausgelöst wird. Um dies zu untersuchen, vernetzen wir empirische Feldforschung mit experimentellen Studien in unseren Forschungslaboren. Während sich unsere Feldforschung derzeit vornehmlich Gewalttätern und ehemaligen Kombattanten widmet, versuchen wir in den Laborstudien vor allem die biologischen und physiologischen Grundlagen der appetitiven Aggression zu erforschen. Wir konzentrieren uns bei allen unseren Studien darauf, appetitive Aggression im Zusammenspiel von biologischen, sozialen und psychischen Prozessen zu erfassen, wobei alle Studien höchsten wissenschaftlichen Standards für empirische Forschung gerecht werden.
Theoretischer Hintergrund der Forschungsfragestellung
Die menschliche Lust an der Grausamkeit ist ein Phänomen, das seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte beschrieben wird. Im Zuge der Entwicklung der Hominiden aus unseren vegetarischen Vorfahren entwickelte sich zunächst Jagdverhalten in Gruppen. Hierbei erlangte der erfolgreiche Jäger nicht nur einen evolutionären Vorteil durch den Zugang zu tierischen Proteinen, die für die Versorgung eines immer größer werdenden Gehirns essentiell waren, sondern er erlangte auch eine Vormachtstellung in seiner sozialen Gruppe.
Wir postulieren, dass das Jagdverhalten per se verstärkend und appetitiv werden musste, damit der erfolgreiche Jäger die Strapazen der Jagd und die massive Exposition mit grausamen Gewaltreizen auf sich nahm. Da das Überleben des Individuums an seine eigene Gruppe geknüpft ist, mussten sich zudem Kontrollmechanismen entwickeln, die eine unkontrollierte Expression der Lust an der Jagd unterbinden. Im Laufe der Evolution bildeten sich beim Menschen Gehirnzentren aus, die die komplexe Verhaltensregulation im sozialen Umfeld steuern. Somit bewegt sich der Mensch im zivilen Kontext im Gleichgewicht zwischen seiner biologischen Veranlagung grausames Verhalten abrufen zu können und sozial gelernten Hemmungen, die den Abruf kontrollieren. Menschliche Grausamkeit und Jagdlust kommt immer dann zum Vorschein, wenn moralische und gesellschaftliche Hemmungen wegfallen, beispielsweise in Kriegs- und Krisengebieten. Gewalt wird im Wettkampf um Ressourcen an den Mitgliedern der anderen Gruppe in einem Maß eingesetzt, wie es für die Lösung des eigentlichen Konflikts oft nicht notwendig wäre. Mitglieder der gegnerischen Gruppe werden auf brutalste Art und Weise gequält und getötet.
Doch auch außerhalb von Kriegsschauplätzen zieht Gewalt die Menschen in ihren Bann. Von Gladiatorenkämpfen in der Antike über öffentliche Hinrichtungen im Mittelalter bis hin zu Schaulustigen an Unfallorten heutzutage fesselt menschliches Leid die Massen. Doch auch wenn dieses Phänomen seit jeher bekannt ist, gibt es kaum empirische Forschung, die systematisch die Lust an der Grausamkeit erforscht. Dieser Aufgabe hat sich unsere Forschungsgruppe zugewendet, auch mit Hinblick darauf, nicht nur die Phänomenologie verstehen zu können, sondern auch Interventionsmethoden zu entwickeln, um appetitive Aggression eindämmen zu können.
Laufende Forschungsarbeiten
Außerhalb Deutschlands führen wir derzeit Feldstudien in Tansania, der Demokratischen Republik Kongo und in Burundi durch. Ein Schwerpunkt unserer Projekte umfasst die Entwicklung geeigneter therapeutischer Interventionen, die einen Abbau appetitiver Aggression zum Ziel haben. Da der Großteil ehemaliger Kombattanten ebenfalls eine Vielzahl traumatischer Ereignisse erlebt hat, findet die Einbindung der therapeutischen Arbeit in die Narrative Expositionstherapie (NET) statt.
Nachdem unsere bisherige Forschung schwerpunktmäßig mit jungen Männern und ehemaligen Kombattanten in Krisengebieten durchgeführt wurde, da wir bei diesen zunächst die höchsten Ausprägungen einer Faszination an Gewalt erwartet haben, was zur Erforschung der Phänomenologie essentiell ist, weiten wir derzeit unsere Arbeiten vor allem auf die Untersuchung von appetitiver Aggression in Zivilgesellschaften, bei Frauen und bei Kindern und Jugendlichen aus. Ebenfalls gehen wir der Frage nach, inwieweit sich eine Faszination an Gewalt zu grenznahen Konstrukten, wie beispielsweise Dominanz und Sadismus, verhält.
Neben der weiterführenden Untersuchung psychophysiologischer Maße im Labor und die Ausweitung der Laborstudien auf Anwendungen in der Feldforschung, widmen sich neuere Studien auch den epigenetischen Grundlagen appetitiver Aggression. Ebenfalls testen wir den Einsatz alternativer Datenerfassungssysteme, die bei der Erhebung großer Stichproben zum Einsatz kommen.
Ein Großteil unserer Studien entsteht dabei auch in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern.
Bisherige Forschungsarbeiten
Unsere Feldforschung bezieht sich bislang auf ehemalige und aktive Kombattanten und Gewalttäter. Hierzu zählen u.a. Guerilla-Kämpfer in Kolumbien, Rebellen aus der Demokratischen Republik Kongo, Genozidtäter aus Ruanda, Kindersoldaten aus Uganda und deutsche Weltkriegsveteranen. Um das Phänomen der appetitiven Aggression in diesen Populationen zu erfassen, entwickelten wir einen Fragebogen der an bislang über 2000 Probanden validiert wurde. Es zeigte sich, dass besonders ein junges Eintrittsalter bei einer bewaffneten Gruppierung als auch ein selbst gewählter Beitritt und eine häufige Gewaltausübung mit der Lust an Gewaltausübung zusammenhängen. Darüber hinaus untersuchten wir den Zusammenhang zwischen appetitiver Aggression und Traumatisierung durch Kampferfahrungen. Hierbei zeigte sich, dass sich eine appetitive Gewaltwahrnehmung protektiv auf die Entwicklung von Traumafolgestörungen auswirkt und sich ebenfalls begünstigend auf das psychosoziale Funktionsniveau auswirken kann.
Im Rahmen der Laborstudien haben wir bislang an der Entwicklung von Methoden zur Induktion von appetitiver Aggression im Laborsetting gearbeitet. Zu den eingesetzten Methoden zählten gewalttätige Computerspiele und gesprochene Erzählungen von Gewalthandlungen. Appetitive Aggression wurde dabei nicht nur mit Hilfe von Fragebögen und Verhaltensmaßen erfasst, sondern ebenfalls durch neuroendokrinologische und hirnphysiologische Messungen.
Die detaillierten Ergebnisse bereits publizierter Studien können Sie den auf dieser Website gelisteten Publikationen entnehmen.